Vor einiger Zeit bei einem opulenten Brunch fragte ein netter mitteljunger Herr seine Angetraute angesichts der Vielfalt an teils unbekannten Speisen und verschiedenen Köstlichkeiten: „Riech mal – mag ich dat?“
Und er meinte es ehrlich ernst. Sie für die Geschmacksnerven in der Familie zuständig, Er der Vertrauende, Ratsuchende. Wir anderen in der Runde, die sattelfester in der Ableitung des Geschmacks vom eigenen Geruchssinn sind, hatten ihren Spaß und zitieren den Mitteljungen gerne bei ähnlichen Gelegenheiten. Immer ein guter Gag!
Aber, was ist wirklich dran? Wie hat sich eigentlich unser Geschmackssinn entwickelt? Ich meine jetzt nicht die Entwicklung vom Neandertaler bis zum Homo sapiens, sondern die Ausbildung des Sinnes für das Leckere bei jedem von uns. Warum hat der eine einen Sensus für „gutes Essen“, der andere nimmt es eher nicht wichtig und isst eher das Bekannte, weil es gut satt macht.
Na, das fängt sicher ganz früh an, in Familien oder im Umfeld, in denen Kochen, Essenzubereitung notweniges Übel zur Ernährung ist, zu erbringende Pflicht ist das Einkaufen wie die Zubereitung. Die Genusskomponente beim Essen bleibt da eher im Hintergrund und wird auf Schokolade oder Chips verschoben . Es wird gegessen, um satt zu werden, Geschmack ist meistens Nebensache, es gibt wenig Rituale rund ums Essen und zu wenig Zeit für´s Essen.
Allerdings: Viele oder die meisten von uns haben in jungen Jahren durchaus eine gewisse Geschmacksausbildung erlebt. Erbsen aus der Schote pulen und die kleinsten süßen gleich weg naschen zu dürfen, das hatte schon auch Genussqualität. Natürlich gehen auch TK-Erbsen, die kleinen süßen sind da aber nicht mehr drin, passen nicht ins Verkaufsraster, Ausschuss…. und der Genussfaktor ist beim Öffnen der Tüte eher reduziert. Das Pulen der Erbsen hat zudem den gleichen meditativen Effekt wie das Krabbenpulen, es hält auf, aber entspannt und fördert die Vorfreude auf die kommende Speise.
Auch nicht immer alles essen zu müssen, was so aufgetischt wird, respektiert den persönlichen Geschmack und reduziert das gemeinsame Essen nicht einfach nur auf´s satt machen.
Ich erinnere mich gut an all das, was ich als Kind nicht mochte und mit einer Alternative umgehen konnte: Fisch, Sauerkraut, Käse, Kümmel, Muskat, Großküchenessen im Kinderhort oder im Krankenhaus wie zerkochtes graues Gemüse oder laue angematschte gedämpfte Kartoffeln. Und natürlich weiß ich noch genau, was ich liebte: Milchreis, Spinat (ja, den frischen Blattspinat mit eigener Soße und ohne Muskat), legendär das Hähnchen mit selbst gemachten Fritten – da holte mich sogar die Nachbarin von oben an den Esstisch, wenn sie dieses Gericht zauberte. Reibekuchen, braun gebratenes Kotelett mit Wirsinggemüse, Pudding (nur den gekochten, nicht den aus dem Becher) u.va.m.
Die meisten Vorlieben sind geblieben, einige Abneigungen habe ich abgearbeitet: Käse habe ich über die Jahre geradezu geübt, zu mögen. Es hat auch ganz gut geklappt, aber im Ziegenkäse haben meine Geschmacksknospen ihren Meister gefunden. Im Laufe der Zeit wurde das Spektrum durch internationale Küche ergänzt, an meine erste Pizza in Lugano erinnere mich sehr genau, ein Traum!
Aber Kümmel und Muskat mag ich bis heute nicht. Ein Graus, im Süddeutschen Brot zu kaufen oder Kohlrouladen zu essen.
Man muss auch lernen, seinem Geschmack zu vertrauen. Beweis: Mein erster Zwiebelkuchen vor einigen Jahren. Was hatte ich mich erkundigt, ob denn nun Kümmel da rein müsse oder nicht. Die beratende Fraktion meinte, na ja, ein wenig schon, wegen der Gesundheit und aus Vernunftgründen, ich solle halt gemahlenen Kümmel nehmen, dann sei es nicht so schlimm und man merke den dann ja gaaar nicht. Meine Gäste, die meisten solche Kümmelhasser wie ich, nahmen den Geruch des „unentbehrlichen“ gemahlenen Gewürzes schon wahr, als der Kuchen noch in der Röhre war. Und beim Essen, herrje, hätte ich auf meine Intuition gehört, noch heute muss ich mir diese Vorwürfe anhören.
Gelernt ist gelernt, mittlerweile weiß ich: Zwiebelkuchen ist auch sehr gut ohne Kümmel verträglich, zumal er dann auch allen Menschen schmeckt. Für meine Geschmacksausbildung bedeutete das: Ich packe in meine Gerichte nur das rein, was ich selber mag, da kommt mir nix mehr rein, nur weil es im Rezept steht oder weil „man“ das so macht. Basta!
Und – meine Gäste wissen, was ich ihnen kredenze, ich verschweige nichts, auch wenn man es eigentlich gaaar nicht merkt (dass das Lamm und kein Rind ist, dass da Fleisch drin ist, dass da Krustentiere drin sind oder oder oder).
Zum Kochen ist ein ordentlich ausgebildeter Geschmackssinn sicher sehr hilfreich, aber es gibt eine weitere Erkenntnis. Man weiß zwar, wie es schmecken soll, aber man kann es dann noch lange nicht zubereiten, wenn ein paar Basiskenntnisse fehlen. Mein erster Sauerbraten war akribisch vorbereitet, auch das bereitwillige Versuchskaninchen in Gestalt eines seinerzeit mitteljungen netten Herren war vorhanden, er wusste, worauf er sich einließ.
Die Mutter hatte ihr Rezept telefonisch durchgegeben, meine insistierenden Fragen (wieviel hiervon? wieviel davon? wie lange? bei wieviel Grad?) wurde mit den typischen Antworten der erfahrenen Köchin nur teilweise befriedigt: „Musste dann mal kucken“ „Ja, dann schmorste den eben 1-2 Stunden, und wenn er gar ist, nimmt Du ihn raus.“ „Ja, nicht zu sauer“ „immer mal neu angießen“ „Zum Abschmecken nimmst Johannisbeergelee, oder Rübenkraut, was du da hast“ ….
Ich war auf mich alleine gestellt!
Mein Sauerbraten sah super aus, er roch hervorragend – anfangs! Denn ich sollte ja immer wieder von dem Sud aufgießen, aber, herrje, nach 1 Stunde war kein Sud mehr da, ich verlängerte mit Rotwein, der passt ja immer, gepaart mit dem Johannisbeergelee war die Farbe der Soße dann eher ein schickes sattes Pink. Ich versicherte meinem Bekannten: Riech mal, dat magst Du auch! Nun, es sah eigenwillig aus, aber doch, es war lecker und wir konnten ja auch Spaß vertragen…
Finde den Fehler! Meine Mutter hatte mir nicht gesagt, dass „Schmoren“ bedeutete, den Deckel auf dem Topf zu lassen. „Ja, den musste drauf lassen, sonst verkocht der Sud ja viel zu schnell.“ – Rischtisch!
Also, Basics helfen dabei, die geliebte und gewollte Geschmackserfahrung zu reproduzieren.
Und hier mein Sauerbratenrezept (gut, das meiner Mutter) mit ultimativer Beilage: Guten Appetit!
Die Lehrjahre habe ich nicht erleiden müssen, inzwischen darf ich die kulinarischen Genüsse der Köchin genießen. Immer wieder richt und schmeckt es gut!
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